Archiv | April 2017

Venezianische Magie II

So ging es los: Teil I

 

Der Startablauf ging voran.

„Liebe Gäste, hier spricht noch mal ihr Kapitän“, ertönte plötzlich die Stimme aus dem Cockpit. Nicole zog überrascht die Augen hoch und fühlte eine kleine Nervosität in sich aufkommen. Stimmte etwas nicht?

„Ähm, also – irgendwie muss heute unser Glückstag sein, anders kann ich es mir auch nicht erklären.“

Ja nanu, was war denn nun los?

„Wir haben heute offensichtlich einen sehr gut gelaunten Fluglotsen erwischt. Ich weiß wirklich nicht wieso, aber wir haben von der Flugsicherung soeben eine ganz außergewöhnliche Abflugroute bekommen, die so eigentlich nie freigegeben wird. Sie wird uns in einer großen Kurve direkt über das wunderschöne Venedig bringen! Ich weiß wirklich nicht, wem wir diese Überraschung zu verdanken haben. Tja, also ich kann jetzt nur noch eines sagen: Genießen Sie die Aussicht!“

Unter dem venezianischem Sommerwetter rollte der Flieger zur Startbahn, bis er schließlich in die Luft stieg. Nicoles Herz schlug unerwartet schnell, während der Flieger langsam in seine Kurve drehte. Ihre Sinne waren voll und ganz davon überzeugt, dass diese junge Frau und ihre Begleiter etwas damit zu tun haben mussten, doch ihr Kopf konnte sich schlichtweg keinen Reim daraus machen.

Was für ein Abflug!

Nicole hatte den einzigartigen Blick auf Venedig noch immer vor den Augen, als sie den Getränkewagen in den Flur lenkte. Das zufriedene Leuchten stand den beiden Kollegen und der jungen Frau nach wie vor ins Gesicht geschrieben und wollte einfach nicht abebben.

„Hätten Sie vielleicht einen Weißwein?“, fragte die junge Frau mit leicht geröteten Wangen.

Nicole musste erneut schmunzeln. „Den haben wir. Ich kann Ihnen auch gerne einen Sekt servieren, wenn Sie mögen.“ Sie hatte so eine Ahnung, dass die junge Dame gerade auf einer sehr hohen Wolke schwebte und etwas ganz Besonderes als Abschluss für ihre ganz besondere Reise brauchte.

„Oh ja, sehr gerne! Ein Sekt wäre perfekt.“ Dieses Strahlen! Es war fast ansteckend. Nicoles Zunge brannte danach, nach mehr zu fragen, doch ihre Uniform verbot es ihr.

Auf dem Rückweg von der Getränkerunde fingen ihre gespitzten Ohren leise Gesprächsfetzen auf.

Feiner Wein.

Grünes Kleid.

Norma.

Padua.

In Nicoles Kopf drehten sich die Gedanken im Kreis, von der brennenden Neugierde angefeuert. Das klingt eher nach Urlaub als nach Dienstreise!

Das Essen stand an. Als Nicole das exquisite Tablett dem älteren der beiden Kollegen hinüber reichte, klappte dieser eine große Mappe zu. Ihre Augen erkannten nur Wortfetzen. Irgendetwas mit Air Traffic. Das Firmensymbol auf der Mappe kam ihr unverhofft bekannt vor.

Air Traffic? Dahinter konnte nun viel stecken, ja.
Hmm, aber eigentlich würde das doch passen, wenn diese Dreiergruppe tatsächlich auch in meiner Branche tätig ist! Gut, sie wirkten weder wie Lotsen noch Piloten. Diesen Schlag an Menschen erkannte Nicole sofort. Doch die Luftfahrtbranche besaß noch unzählig viele andere Arbeitsfelder, die man sich als Außensteher oft gar nicht vorzustellen vermochte.
Ja, dieses Bild wirkte schlüssig. Es passte einfach! Nicole verspürte eine unerwartete Vertrautheit mit diesen Menschen in sich aufkommen – vielleicht rührte ihre unerklärliche Faszination über die drei Menschen auch daher. Weil sie am Ende womöglich gar nicht so fremd waren wie gedacht…

Als der Flieger achtzig Minuten später das Gate erreicht hatte und die Passagiere wieder deutschen Boden betraten, quälte Nicole noch immer die Frage, was für eine Geschichte diese junge Frau und ihre beiden Begleiter tatsächlich am Ende mit sich trugen. Mit wippenden Füßen verabschiedete sie die Fluggäste. Der ältere Kollege der sonderbaren Dreiergruppe ging mit einem Abschiedsgruß an ihr vorbei, gefolgt von dem jüngeren Kollegen, dann kam sie den Gang auf Nicole zu. Sie verweilte einen Lidschlag länger als gewohnt vor dem Kabinenpersonal und blickte Nicole mit ihren großen Augen begeistert und euphorisch an, aber gleichzeitig auch zaghaft. Ganz, als ob ihre Lippen dringend etwas loswerden wollte, sie sich aber nicht traute.

Gerade, als Nicole sie fragen wollte, ob sie ihr verraten könne, was hinter diesem grandiosen Abflug steckte, nickte die junge Frau und nahm ihre spannende Geschichte mit auf ihren Heimweg.