Archiv | Januar 2016

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VI

Oh je, dass die Geschichte doch so lang wird, hatte ich nicht erwartet. Hoffentlich komme ich noch zum Ende, bevor der Flieger gelandet ist 🙂

 

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil V

 

Mrs. G beschloss, den Test zunächst für sich zu behalten und stattdessen den ersten Arztbesuch abzuwarten. Sie wollte erst einmal Klarheit haben, woran sie wirklich war. Ihre aktuell wacklige Beziehungssituation aufgrund von zwei rosa Streifen in Gefahr zu bringen, das war ihr zu heikel.

Die vier Tage bis zum Termin waren die längsten ihres Lebens. Am dritten Abend ging Gregor wortlos aus und kam erst spät in der Nacht wieder. Ihre Gereiztheit sei nicht mehr zu ertragen.

Die Glückwünsche vom Arzt am nächsten Morgen schmiss Mrs. G gleich in die nächste Tonne. Das erste Ultraschallbild jedoch behielt sie zitternd in den Händen. Als Gregor am Abend nach Hause kam, zitterten sie immer noch.

„Wir müssen reden“, sagte Gregor mit ernster Stimme. Ihre Augenbrauen schnellten nach oben.

Zwei Stunden später fiel die Wohnungstür erneut ins Schloss. Die Tritte auf den Treppenstufen verklungen nach einigen Augenblicken. Das laute Pochen von ihrem Pulsschlag in ihren Ohren hielt an.

Er hatte beschlossen zu gehen. Es funktionierte nicht mehr. Ihre Lebensziele waren zu sehr auseinander gedriftet. Auf Arbeit gab es da eine Frau, die würde wahrscheinlich besser zu ihm passen. Er wünschte ihr nur das Beste für ihre Karriere.

Das Ultraschallbild lag noch immer in ihrem Skizzenbuch. Er hatte es nicht zu sehen bekommen.

Mrs. G stand auf, bewegte ihren Körper langsam in ihr Nähzimmer und blieb vor der Puppe mit dem roten Kleid stehen. Eine Weile starrte sie es an. Dann zerrte sie es ruckartig herunter, sodass die Knöpfe am Verschluss abrissen und sich in den Zimmerecken verteilten. Sie schmiss das Kleid auf den Boden, trat mit den Füßen immer und immer wieder danach, nahm es in die Hände und knüllte es zusammen, warf es erneut auf den Boden und schmiss sich schließlich drauf. Ihre Tränen tränkten den zerknitterten Stoff und verliehen dem Kleid einen zweiten Rotton.

 

Nicole musste sich kurz setzen, als sie mit dem Speisewagen wieder vorne ankam. Ihre Kollegin warf ihr einen eigenartigen Blick zu.

„Alles in Ordnung, Nikki?“

Nicole winkte ab. Am liebsten hätte sie ein Fenster geöffnet, um etwas frische Luft zu bekommen. Ein Schluck eiskaltes Wasser musste ausreichen.

 

Fortsetzung folgt…

 

Selbstportrait – Januar 2001

Von meinen Eltern wiedergefunden:

 

Selbstportrait_2001

„Selbstportrait“

 

Auf der Rückseite las ich den von mir dazu verfassten Text, der mich überraschte. Heute würde ich ihn vom Ausdruck her vielleicht teils anders schreiben – aber der Inhalt passt noch immer voll und ganz:

„Auf meinem Bild habe ich einen Sonnenuntergang dargestellt. Unten schwimmt das ruhige, blaue Meer. Am Horizont sieht man die Sonne, wie schon halb untergegangen ist, ihr Spiegelbild glitzert im Ozean. Der Himmel färbt sich immer röter, je weiter man nach oben blickt, bis er im tiefen Schwarz des weiten Weltalls endet. Eine Mondsichel ist zu sehen, auch die ersten Sterne kann man erkennen.

Mein Blick ist ruhig, ich habe ein leichtes Lächeln aufgesetzt. Ich habe mich links unten in die Ecke des Bildes gesetzt, so kommt der unendliche Raum des Alls noch mehr zum Vorschein.

Ich liebe die Astronomie. Ich liebe diese Unendlichkeit, sich um uns befindet. Sie fasziniert mich einfach. Mein ganzes Leben lang träume ich davon, einmal in dieser Schwerelosigkeit zu schweben, nichts und doch so viel Unbekanntes um mich zu haben, zu fühlen.

Warum ich das Meer gemalt habe, hat ähnliche Gründe. Es übt ebenfalls eine große Faszination auf mich aus, das Unerforschte, die Schönheit, die sich unter der blauen Oberfläche befindet. Auch, weil ich das Schwimmen und Tauchen liebe. Die Vielfältigkeit, die die Natur zu bieten hat, ist für mich wunderschön. Deshalb ist mir auch sofort dieses Bild als Hintergrund in den Sinn gekommen. Darin sehe ich meine Träume, meine Wünsche.“

Wie viel „Fantasy“ braucht eine Fantasy Geschichte?

Nun ist Teil I meiner Fantasy-Reihe ziemlich fertig – und plötzlich frage ich mich: habe ich darin überhaupt genug „Fantasy“ verpackt?

 

Als ich die Geschichte anfing zu schreiben, hatte ich beschlossen: Elfen, Zwerge, Drachen, Hexen… das wird es darin nicht geben. Es passte mir einfach nicht ins Bild. Wenn man solche Elemente benutzt, müssen sie auch einen Zweck erfüllen. Ich fand keinen…

 

Doch nun sinniere ich darüber, ob meine Geschichte bzw. die Neugierde des potentiellen Lesers dadurch etwas Abstriche bekommen könnte. Ist genug „Fantasy“ drin, um ausreichend Neugierde über die erdachte Welt zu wecken? Erwartet der Leser vielleicht mehr und wird am Ende enttäuscht?

 

Deshalb werfe ich diese Frage in die Runde: Braucht eine Geschichte auf jeden Fall „die typischen Fantasy-Elemente“, um sich tatsächlich „Fantasy“ nennen zu dürfen?

Mrs. Grudge und ihr rotes Kleid – Teil V

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

 

Nicole war überzeugt davon, dass etwas Dramatisches geschehen sein musste.

 

Mit zitternder Hand hielt Mrs. G den kleinen, aber vielsagenden Papierstreifen in der Hand. Ihr Herz wusste nicht, ob es sich freuen sollte oder nicht. Eigentlich schon, oder? Aber es kam so unerwartet! Wie hatte das geschehen können? Passte es jetzt überhaupt hinein? Und überhaupt – was würde Gregor dazu sagen?

Ja, das war wohl die Frage, dessen Antwort Mrs. G am meisten fürchtete.

Es lief nicht gut in letzter Zeit. Zu sehr nahmen ihre Arbeiten sie beide ein, was für eine gereizte Grundstimmung daheim sorgte. Schnell stritten sie sich über Kleinigkeiten, geplagt von Müdigkeit und zu wenig Freizeit. Nachts überkam sie beide jedoch oft das Bedürfnis, dem jeweils anderen Wiedergutmachung zu schenken. Währenddessen wuchs Maries Bauch immer weiter – das ständige Strahlen in den Augen ihrer Schwester konnte Mrs. G schon eine Weile nicht mehr ertragen.

Mrs. Gs Augen wanderten wieder auf das kleine Papierchen in ihren Händen, auf die zwei deutlich sichtbaren rosa Streifen. Es war Samstag Morgen um 7 und sie stand alleine im Bad. Gregor schlief noch. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Zu analysieren, wie das hatte geschehen können.

Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Heute war schon Sonntag!

Fassungslos stierte sie auf ihre Pillenreihe im Regal.

Die vergangenen Wochen hatten sie keinen regulären Unterricht mehr gehabt, denn schon bald stand die große Jahresabschluss Show an. Den Schülern wurde die Zeit zur freien Verfügung gestellt, um ihre Entwürfe fertig zu bekommen. Mrs. G hatte zwischen all dem Garn und den Stoffreihen völlig das Gefühl verloren, welcher Wochentag gerade war. Dass Gregor auch ab und an an Samstagen arbeiten musste, war dabei nicht hilfreich.

Völlig unerwartet hatte sich ihr inniger Wunsch durch völlig verdrehte Ereignisse zu einem völlig unpassenden Augenblick erfüllt. Ohne die ersehnte Glückseligkeit, die das Herz erwärmte. Ohne Freudentränen. Ohne Vorfreude auf das, was kommen mochte. Nur Leere. Mrs. G wusste nicht, was sie fühlen sollte.

 

Nicoles Hände zitterten, als sie Mrs. G das Tablett mit dem Essen reichte. Ein dicker Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet, der schmerzvoll drückte, als sie der alten Dame in die stummen Augen blickte.

 

Fortsetzung folgt…

 

Alles hatte einen Anfang…

Lang lang ist es her, dass ich dieses Story-Board erstellte:

Mindmap_Kristalle_1

 

Dies war die Basis für Teil I von meinem Fantasy-Roman „Vier Kristalle“ und verhalf mir oft, den roten Faden in der verschachtelten Geschichte nicht zu verlieren. Ende letzter Woche beendete ich nun meinen (hoffentlich) letzten Überarbeitungszyklus – es galt, einen letzten logischen Fehler auszumerzen.

Da musste ich doch glatt einmal diese Übersicht hervorholen, um mir anzuschauen, wie alles einmal begonnen hatte. Manche Idee darauf veränderte sich im Laufe des Schreibens – das ist für mich mit das Spannendste daran: wie entwickelt sich die Geschichte, um zum geplanten Ende zu kommen? Und bleibt das Ende wirklich so, wie man es sich anfangs überlegt hat?

 

Nun, vom ersten Entwurf bis zur fertigen Roman veränderte sich meine Geschichte doch enorm, gewann deutlich an Tiefe, an Gesicht, an Charakter. Entwickelte sich mehr und mehr zu einer eigenen Welt. Die nun nach einer Fortsetzung verlangt. Ich bin stolz darauf, es doch bis zu dem Wörtchen „Ende“ geschafft zu haben – wo doch die Idee und die ersten Skizzen nun schon 15 Jahre zurück liegen.

 

Teil II soll definitiv nicht so lange dauern 🙂 Die ersten Seiten sind schon geschrieben – nun mit viel mehr Reife, Erfahrung und deutlich tieferer Vorplanung vor dem ersten verfassten Wort.

 

So ein buntes Bildchen mit der erforderlichen Detailtiefe muss ich allerdings noch malen 🙂

 

P.S. Das Bildchen habe ich natürlich unscharf gemacht, damit hier nicht zu viel verraten wird 😉

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

 

Was geschah wohl als nächstes?, fragte sich Nicole. Bisher lief bei Mrs. G alles so bilderbuchmäßig, das konnte njcht ewig zu weitergehen…

 

Bei ihrer ersten Modeschau, auf der ihre besten Stücke präsentiert wurden, saß Gregor in der ersten Reihe. Ihre Schwester war nicht mit dabei. Sie sei verhindert, sagte sie. Am Wochenende darauf – der erste Advent stand vor der Tür – offenbarte sich Mrs. G der wahre Grund: Marie präsentierte ihr ein Ultraschallbild. Sie würde ihr erstes Kind bekommen. Nach der Verkündung verschwand Marie auf dem Klo.

Das Bild versetzte Mrs. G in unerwartete Schockstarre. Marie hatte soeben erst die Schule beendet – und erwartete ihr erstes Kind! Mrs. G war immer davon ausgegangen, dass die Bekanntgabe des ersten Enkelkindes ihr als ältere Schwester zustand. Doch nun kreisten die Eltern nur noch um klein Marie herum, der die Übelkeit deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

Mrs. G wurde Tante – doch verspürte keine große Freude darüber. Stattdessen fühlte sie sich plötzlich alt. Am Abend stand sie in ihrem Nähzimmer und stierte auf das rote Kleid, das nun von einer menschengroßen Holzpuppe getragen wurde. Wenn ihr erstes Kind ein Mädchen werden würde, dann würde sie ihrer Tochter dieses Kleid nähen.

Doch wann würde sie schwanger werden? Im Gegensatz zu ihrer naiven Schwester wollte Mrs. G zunächst ihre Ausbildung beenden und auch Gregor würde ganz sicher nicht vor seiner Examensprüfung die ersten Windeln wechseln wollen. Und eigentlich wartete vorher auch noch der Verlobungsring!

Das waren für den Moment zu viele unklare Gedanken, befand Mrs. G und beließ es erst einmal dabei, dass nun doch zuerst Maries Bauch zuerst wachsen würde. Zart strich sie über den noch immer leuchtenden Stoff ihres roten Kleides. Sie war dennoch glücklich – und überzeugt davon, dass ihr Lebensweg deutlich mehr Zufriedenheit brachte als der unüberlegte ihrer kleinen Schwester. Sie und Gregor würden sich zuerst etwas Vernünftiges aufbauen! Dann konnte man das Kinderkriegen auch viel mehr genießen! Marie würde ja nicht mal wirklich in der Lage sein, ihrem Kind ein ordentliches Kuscheltier zu kaufen.

Und das Bäuchlein wuchs. Und Mrs. Gudges Mappe erfolgreicher Entwürfe wuchs ebenfalls. Mittlerweile saß sie abends oft länger an der Nähmaschine als Gregor in der Bank. Er war genervt. „Muss ich mich jetzt als Wollknäuel verkleiden, damit du mich wieder mehr beachtest?“, fragte er gekränkt.

„Nach Abschluss diesen Semesters wird es ruhiger, versprochen“, entgegnete sie und spürte seinen scharfen Blick im Rücken. Ihre Entwürfe wurden um die Taille herum immer schlanker.

 

Nicole atmete tief durch, während sie die warmen Tabletts voller exquisitem Business Class Essen in den Wagen schob. Sie konnte Mrs. G da sehr gut verstehen – erst einmal eine finanzielle Grundlage zu schaffen, war definitiv eine vernünftige Basis für ein Kind! Doch sie hatte den Eindruck, dass Mrs. G dabei war, ihre Gedanken und ihre Gefühle von etwas abzulenken, das sie nicht in ihr Herz lassen wollte – aus Angst, dass es zu sehr schmerzte. Leider schloss sie dadurch auch andere mehr und mehr aus, ohne dass sie es bewusst wahrnahm.

Aus der Economy Class erklang ein meckerndes Kind – das Mädchen beschwerte sich lauthals, dass ihr langweilig war. Ihre Mutter flüsterte ihr daraufhin sicherlich zu, dass es gleich etwas Kleines zu essen gäbe, um ihre Tochter zu besänftigen. Nicoles Blick huschte zu Mrs. G. Deren Blick war voller Konzentration auf die Wörter in ihrem Buch gerichtet, doch auf der Stirn war ein leichtes Runzeln zu erkennen. Dann atmete sie einmal tief durch – das erste klare Lebenszeichen der alten Dame, das Nicole seit dem Abheben wahrnehmen konnte.

Offensichtlich lenkte die Mädchenstimme Mrs. G von ihrem Buch ab. Was ihr wohl durch den Kopf gingen? Welche Erinnerungen dadurch womöglich hervor kamen? Nicole begann das Essen zu verteilen.

 

Fortsetzung folgt…