Ungetrieben

Ich muss kurz stehen bleiben, um meinen Sinnen überhaupt die Möglichkeit zu geben, dieses eigenartige Gefühl von unverhoffter Vertrautheit erfassen zu können, das ganz plötzlich in mein Inneres einschlägt. Wie ein heftiger Blitz schießt das eine Wort durch meinen Kopf: Ungetrieben.

Ich beginne zu begreifen: federleichter Schritt, ganz in der Geschwindigkeit, nach der meinem Gemüt gerade ist, führt mich zu meinem Auto. Die Gedanken – zunächst ganz unbewusst – kreisen noch um die Momente des heutigen Tages herum, die mir ein permanent anhaltendes Gefühl deer Ruhe beschert haben, die von nichts zwischendurch wieder durchbrochen worden war.

Die Aussicht auf den verbleibenden Abend – in meinem Tempo nach Hause kommen, im Flur den Blick mir stehenden Füßen umher schweifen lassen, den Kopf ankommen lassen, den Geist und die abendliche Laune entscheiden lassen, was ich noch tun möchte. Innehalten dürfen…

Erinnerungssprünge überkommen mich, werfen mich ungläubig immer wieder in die Vergangenheit – in die Zeit davor… als jeder Tag so war wie der heutige. Doch damals hatte ich diese Unegtriebenheit nie gespürt – weil ich gar nicht wusste, was getrieben sein wirklich bedeutet!

Ich muss fast lachen über mich selbst. Was nur hatte mir damals suggeriert, ich hätte nie Ruhe und hätte ständig etwas zu tun? Was nur hatte ich damals ständig in all der vielen Zeit getan, die ich heute so überhaupt nicht mehr habe?

Alles vergessen und bedeutungslos. Und dieses eigentliche frei sein – auch dieses Gefühl scheine ich offensichtlich nahezu vergessen zu haben, ja gar nicht wirklich je gekannt zu haben!

Doch heute ist ein Tag, der mich in dieses Gefühl wieder hinein katapultiert hat und es es wirkt so befreiend und federleicht, dass ich kaum in der Lage bin es wirklich zu erfassen, festzuhalten – aus Angst, es verflüchtigt sich sogleich wieder in meinen zitternden Sinnen. Doch meine Sinne greifen es immer mehr, beginnen zu glauben, dass es keine Einbildung ist. Ich atme tief durch, sauge die Gewissheit auf – um diese kurze Zeit wirklich schätzen und nutzen zu können: der Ungetriebenheit.

Ja, es ist wahr – die Vertrautheit macht sich breit – es ist wie früher. Nein! Es ist schöner, tiefer, bewusster! Denn der wahre Wert erschließt sich mir nun viel mehr. Ich werde die Zeit zu nutzen wissen, denn sie wird nur kurz sein, bevor mich mein wahrer Alltag wieder einholt.

 

Doch bis die Kinder wieder daheim einkehreren, mich mit Hunger und Müdigkeit ins Auto treiben, meine Füße daheim die Treppe hoch ins Bett jagen, meine Gedanken um „Hände waschen vor dem Abendessen vor dem Abendessen noch was zum Anziehen für morgen rauslegen wo ist nur die neue Zahnpasta wir haben vergessen Brot zu kaufen“ herumtreiben… ja, bis dahin bleibt mir noch eine Wohe fast unvergesslicher Ungetriebenheit….

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