Was bisher geschah:
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III
Was geschah wohl als nächstes?, fragte sich Nicole. Bisher lief bei Mrs. G alles so bilderbuchmäßig, das konnte njcht ewig zu weitergehen…
Bei ihrer ersten Modeschau, auf der ihre besten Stücke präsentiert wurden, saß Gregor in der ersten Reihe. Ihre Schwester war nicht mit dabei. Sie sei verhindert, sagte sie. Am Wochenende darauf – der erste Advent stand vor der Tür – offenbarte sich Mrs. G der wahre Grund: Marie präsentierte ihr ein Ultraschallbild. Sie würde ihr erstes Kind bekommen. Nach der Verkündung verschwand Marie auf dem Klo.
Das Bild versetzte Mrs. G in unerwartete Schockstarre. Marie hatte soeben erst die Schule beendet – und erwartete ihr erstes Kind! Mrs. G war immer davon ausgegangen, dass die Bekanntgabe des ersten Enkelkindes ihr als ältere Schwester zustand. Doch nun kreisten die Eltern nur noch um klein Marie herum, der die Übelkeit deutlich ins Gesicht geschrieben stand.
Mrs. G wurde Tante – doch verspürte keine große Freude darüber. Stattdessen fühlte sie sich plötzlich alt. Am Abend stand sie in ihrem Nähzimmer und stierte auf das rote Kleid, das nun von einer menschengroßen Holzpuppe getragen wurde. Wenn ihr erstes Kind ein Mädchen werden würde, dann würde sie ihrer Tochter dieses Kleid nähen.
Doch wann würde sie schwanger werden? Im Gegensatz zu ihrer naiven Schwester wollte Mrs. G zunächst ihre Ausbildung beenden und auch Gregor würde ganz sicher nicht vor seiner Examensprüfung die ersten Windeln wechseln wollen. Und eigentlich wartete vorher auch noch der Verlobungsring!
Das waren für den Moment zu viele unklare Gedanken, befand Mrs. G und beließ es erst einmal dabei, dass nun doch zuerst Maries Bauch zuerst wachsen würde. Zart strich sie über den noch immer leuchtenden Stoff ihres roten Kleides. Sie war dennoch glücklich – und überzeugt davon, dass ihr Lebensweg deutlich mehr Zufriedenheit brachte als der unüberlegte ihrer kleinen Schwester. Sie und Gregor würden sich zuerst etwas Vernünftiges aufbauen! Dann konnte man das Kinderkriegen auch viel mehr genießen! Marie würde ja nicht mal wirklich in der Lage sein, ihrem Kind ein ordentliches Kuscheltier zu kaufen.
Und das Bäuchlein wuchs. Und Mrs. Gudges Mappe erfolgreicher Entwürfe wuchs ebenfalls. Mittlerweile saß sie abends oft länger an der Nähmaschine als Gregor in der Bank. Er war genervt. „Muss ich mich jetzt als Wollknäuel verkleiden, damit du mich wieder mehr beachtest?“, fragte er gekränkt.
„Nach Abschluss diesen Semesters wird es ruhiger, versprochen“, entgegnete sie und spürte seinen scharfen Blick im Rücken. Ihre Entwürfe wurden um die Taille herum immer schlanker.
Nicole atmete tief durch, während sie die warmen Tabletts voller exquisitem Business Class Essen in den Wagen schob. Sie konnte Mrs. G da sehr gut verstehen – erst einmal eine finanzielle Grundlage zu schaffen, war definitiv eine vernünftige Basis für ein Kind! Doch sie hatte den Eindruck, dass Mrs. G dabei war, ihre Gedanken und ihre Gefühle von etwas abzulenken, das sie nicht in ihr Herz lassen wollte – aus Angst, dass es zu sehr schmerzte. Leider schloss sie dadurch auch andere mehr und mehr aus, ohne dass sie es bewusst wahrnahm.
Aus der Economy Class erklang ein meckerndes Kind – das Mädchen beschwerte sich lauthals, dass ihr langweilig war. Ihre Mutter flüsterte ihr daraufhin sicherlich zu, dass es gleich etwas Kleines zu essen gäbe, um ihre Tochter zu besänftigen. Nicoles Blick huschte zu Mrs. G. Deren Blick war voller Konzentration auf die Wörter in ihrem Buch gerichtet, doch auf der Stirn war ein leichtes Runzeln zu erkennen. Dann atmete sie einmal tief durch – das erste klare Lebenszeichen der alten Dame, das Nicole seit dem Abheben wahrnehmen konnte.
Offensichtlich lenkte die Mädchenstimme Mrs. G von ihrem Buch ab. Was ihr wohl durch den Kopf gingen? Welche Erinnerungen dadurch womöglich hervor kamen? Nicole begann das Essen zu verteilen.
Fortsetzung folgt…