Was bisher geschah:
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil V
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VI
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VII
Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VIII
Das rote Kleid schien Mrs. Grudge magisch zu verfolgen. Nicole fragte sich mehr und mehr, an welchem Punkt in Mrs. Grudges Leben dieser Zauber plötzlich erlosch…
Ludwig stand sprachlos in ihrem Wohnzimmer und stierte mit großen Augen das rote Kleid an, das perfekt hergerichtet auf der Puppe hing. Schließlich näherte er sich langsam dem Kunstwerk, berührte mit anerkennender Bedächtigkeit den zarten Stoff, strich mit den Fingern über die weiße Blume, umrundete schließlich einmal Mrs. Gs erste Kreation.
Dann blickte er sie an. „Ich bin hoffnungslos begeistert“, sagte er. „Ich liebe, liebe, liebe dieses Kleid!“
Mrs. G spürte, dass erneut eine Röte ihre Wangen überzog. Verlegen faltete sie die Hände vor ihrem Körper zusammen. Als sie vor mittlerweile drei Jahren dieses Kleid entwarf und gemeinsam mit ihrer Mutter nähte, hätte sie nie gedacht, dass es sie eines Tages in solch eine Situation führen würde.
Ludwig führte sie in ein elegantes Restaurant mit modern französischem Touch aus. Mrs. G fühlte sich in ihrem kleinen Schwarzen, das seit ihrem ersten Rendevouz mit Gregor unbeachtet im Schrank gehangen hatte, äußerst wohl. Ludwig war ein eleganter und sprachgewandter Mann, der es verstand, keine unangenehmen Momente des Schweigens aufkommen zu lassen. Mrs. G hätte seinen Erlebnissen aus der Modebranche noch stundenlang zuhören können, doch der Abend flog nur so dahin. Zum Schluss kam er auf seine Modenshow im kommenden Frühjahr zu sprechen. Eigentlich hatte er schon erste Entwürfe von seinen besten Schülern und Schülerinnen heraus gesucht, doch der Anblick des roten Kleides, so sagte er, würde ihn nun noch mal das Konzept überarbeiten lassen müssen. Dieses rote Kleid sollte auf jeden Fall ein Teil der Show werden. Mrs. Grudge war sich noch sicherer, in einem großartigen Traum zu schweben.
Als Ludwig sie viel für ihren Geschmack wieder vor ihrer Haustür absetzte, nahm er ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Mrs. G hörte das Rauschen ihres Herzschlags, der sich mit dem leichten Schneefall zu einem Moment des Stillstands vermischte. Sie hatte das Gefühl, ganz kurz in einer anderen Welt zu schweben.
Er dankte ihr für den wundervollen Abend. „Und ich freue mich schon sehr auf unsere nächste gemeinsame Unterrichtsstunde.“
Mrs. G brachte gerade so die zwei Wörtchen „Ich auch.“ heraus.
Bevor er wieder in sein Auto stieg, blickte er im Licht der Laterne noch einmal zu ihr auf und schenkte ihr ein Winterlächeln, das sie bis in ihre Träume begleitete. Diese Nacht schlief sie so friedlich ein wie seit vielen Monaten nicht mehr.
Das Telefon holte Mrs. G am nächsten Morgen wieder zurück in ihr normales Leben. „Wann kommst du denn eigentlich mal wieder vorbei, um deine kleine Nichte zu sehen?“, kratzte Maries Stimme durch den Hörer. Mrs. G schloss die Augen. Seit der Geburt war sie nur einmal vorbei gekommen – zu Maries Geburtstag. Die kleine Amelie war drei Monate alt gewesen. Nun war Weihnachten vorbei, das neue Jahr hatte begonnen und ihre Nichte krabbelte mit ihren sieben Monaten bereits munter herum.
„Wenn ich meine große Hausarbeit abgeschlossen habe“, antwortete Mrs. G und meinte den Aufsatz über die Geschichte der Farbe Blau in der Mode, den sie bis zum Ende des Monats abgeben musste.
„Wenn du dich weiter so ausgrenzt, wird Amelie bald nicht mehr wissen, dass sie eine Tante hat!“ Mrs. G spürte die Leere in ihrem eigenen Bauch, die nie ganz verschwinden wollte. Trotzdem versprach sie, bald vorbei zu schauen. Dann wanderten ihre Gedanken zurück zum gestrigen Abend. Der Leere wich ein neues Kribbeln.
Der Pilot durchbrach Nicoles Gedanken, als er den Passagieren durchgab, dass sie nun die Reiseflughöhe verlassen hätten. Mrs. G hingegen, so vermutete Nikki, wurde vom gnädigen Schicksal allmählich auf unerwartete Höhen des Glücks gehoben.
Fortsetzung folgt…