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Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil XI

Plot:

Als die Stewardess Nicole die ältere Dame in der Business Class erblickt, keimt in ihr unwillkürlich die Frage auf, welch ein Schicksalsschlag womöglich dazu geführt haben mochte, dass der elegante und stolze Glanz dieser Frau von so viel Verbitterung überschattet wird…

Mrs. Grudges Herz schlägt für die Mode. Ihr erster umgesetzter Entwurf, ein rotes Abendkleid, schenkt ihr auf dem Abschlussball die Liebe zu Gregor, mit dem sie schon bald zusammenzieht. Doch ihre beiden Leben wollen einfach nicht zusammenpassen. Als Mrs. Grudge feststellt, dass sie schwanger ist, verlässt Gregor sie, ohne zu ahnen, was er hinterlässt.

Mrs. Grudge entscheidet sich für ihre Stoffe und gegen das Kind. Als ihre Schwester ihr erstes Kind bekommt, spürt Mrs. Grudge nur die Leere in ihrem eigenen Herzen, die sie versucht, mit ihren Stoffen und Entwürfen zu füllen.

Unerwartet lernt sie Ludwig, einen der Lehrer, plötzlich näher kennen, als er ihre Kleiderskizzen entdeckt. Ihre Entwürfe und seine Begeisterung dafür bringen ihre Herzen schließlich zusammen. Mit Ludwigs Unterstützung rücken alle Träume, die Mrs. Grudge seit dem Schneidern des roten Kleides hatte, in greifbarer Nähe.

Doch dann stellt das Schicksal sie erneut vor eine dramatische Entscheidung…

 

Teil XI

Die kommenden Wochen entpuppten sich wohl als die schönsten in Mrs. Grudges Leben. Alles fügte sich wie Puzzleteile zu einem harmonischen Bild zusammen. Ihre Ausildung und die Zwischenprüfungen liefen erfolgreich, nicht zuletzt dank der ständigen Wärme, die sie verspürte, sobald sie Ludwig erblickte. Die anderen Komilitonen begegneten ihr mehr und mehr mit Distanz. Ihre Beziehung zeigten Mrs. G und Ludwig zwar nie öffentlich, doch die Gerüchteküche brodelte und die Blicke, die sie immer wieder austauschten, entgingen den anderen nicht. Doch das störte Mrs. G in keinster Weise.

Dank  Ludwig konnte sie sich an neuen, spannenden Stoffen ausprobieren. Er besorgte ihr edlen Satin und feine Spitze, die sie in ihren besonderen Kleiderentwürfen verarbeitete. An einem besonders warmen Tag im April stellte er sie einer potentiellen Kundin vor, die in Berlin eine Boutique führte und immer auf der Suche nach neuen, modernen Inspirationen für ihre erlesene Kundschaft war. Ludwig kannte sie schon seit seiner Ausbildung und pflegte eine enge Freundschaft zu der Dame. Sie zeigte sich im höchsten Maße begeistert von Mrs. Gs Entwürfen und bot ihr an, einige ihrer Modelle in ihrem Geschäft ihren Stammkundinnen vorzuführen. Mrs. G konnte den Stolz in ihrem Herzen kaum greifen.

Ludwig führte sie nach wie vor gerne abends aus, zeigte ihr viele einzigartige Ecken Potsdams und Berlins, die sie wohl so nie im Leben kennengelernt hätte. Auch begann er ihr einige seiner besten Freunde vorzustellen, sodass sie immer tieferen Einblick in die Modewelt fand. In ihrem Kopf überschlugen sich die Vorstellungen über die Möglichkeiten, die sich da für ihre berufliche Zukunft offenbarten.

Ihre private Zukunft nahm wie selbstverständlich ebenfalls feste Konturen an. Für Ludwig schien es selbstverständlich, dass sie nun zu seinem Leben, zu seinem Alltag gehörte. Über das Thema Kinder hatten sie bisher nicht gesprochen, doch Mrs. G hatte auch kein Verlangen danach. Es fühlte sich derzeit alles richtig an, wie es war. Diese dunkle Wolke in ihrem Herzen wollte sie nicht wieder aufschrecken.

Sie explodierte jedoch förmlich, als ihre Schwester plötzlich vor ihrer Tür stand.

„Auf meine Nachrichten hast du nie reagiert“, sagte Marie, mit klein Amelie auf dem Arm. Wobei Amelie nicht mehr klein war. Mit ihrem blonden Zopf und dem Jeanskleid, aus dem zwei lange Beine heraus schauten, wirkte sie schon wie ein richtiges kleines Mädchen.

„Ich wollte dir die Einladung für Amelies ersten Geburtstag persönlich in die Hand drücken“, fuhr ihre Schwester fort. „Damit sie auch wirklich bei dir ankommt.“

Ein rosafarbener Briefumschlag landete in Mrs. Gs Händen.

„Ich erwarte, dass du kommst!“ Mit einem eindringlichen Blick bohrte sich diese Ansage in Mrs. Gs Kopf hinein. Dann drehte sich Marie wieder um und verschwand.

Zurück blieb ein großes Loch im Puzzle, das den Rand nicht abschließen lassen wollte.

 

Der Flieger senkte seinen linken Flügel nach unten, um in Richtung Landebahn einzuschwenken. In Nicoles Kopf kippten ihre Gedanken plötzlich in eine Richtung, wohin Mrs. Grudges Reise am Ende wohl ging.

 

Fortsetzung folgt…

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil X

Eigentlich wollte ich schon längst fertig sein… *seufz* Wahrscheinlich liest schon niemand mehr mit… Doch wie die meisten wissen, geht es privat gerade sehr turbulent (aber schön!) zu, sodass ich die letzten Wochen einfach nicht mehr zum Schreiben gekommen bin. Nun wird es aber wirklich mal Zeit, dieses Kleinprojekt zu einem Ende zu bringen.

Daheim lerne ich gerade privat ganz neu, was Zeitmanagement wirklich bedeuten kann 😉 Der bisherige Zeitplan für diese Geschichte ist zwar längst hinfällig, aber mein neues Projektziel lautet: diese Geschichte bis Ende Juni fertig zu haben! So, jetzt steht es hier. Damit habe ich das hoffentlich auch fest im Hinterkopf!

 

Plot:

Als die Stewardess Nicole die ältere Dame in der Business Class erblickt, keimt in ihr unwillkürlich die Frage auf, welch ein Schicksalsschlag womöglich dazu geführt haben mochte, dass der elegante und stolze Glanz dieser Frau von so viel Verbitterung überschattet wird…

Mrs. Grudges Herz schlägt für die Mode. Ihr erster umgesetzter Entwurf, ein rotes Abendkleid, schenkt ihr auf dem Abschlussball die Liebe zu Gregor, mit dem sie schon bald zusammenzieht. Doch ihre beiden Leben wollen einfach nicht zusammenpassen. Als Mrs. Grudge feststellt, dass sie schwanger ist, verlässt Gregor sie, ohne zu ahnen, was er hinterlässt.

Mrs. Grudge entscheidet sich für ihre Stoffe und gegen das Kind. Als ihre Schwester ihr erstes Kind bekommt, spürt Mrs. Grudge nur die Leere in ihrem eigenen Herzen, die sie versucht, mit ihren Stoffen und Entwürfen zu füllen.

Unerwartet lernt sie Ludwig, einen der Lehrer, plötzlich näher kennen, als er ihre Kleiderskizzen entdeckt. Ihre Entwürfe und seine Begeisterung dafür bringen ihre Herzen schließlich zusammen. Mit Ludwigs Unterstützung rücken alle Träume, die Mrs. Grudge seit dem Schneidern des roten Kleides hatte, in greifbarer Nähe.

Doch dann stellt das Schicksal sie erneut vor eine dramatische Entscheidung…

 

 

Teil X

Mrs. G hatte eine ganz private Hausaufgabe von Ludwig bekommen. Sie sollte sich zwei Kreationen aus ihrem Skizzenblock aussuchen und umsetzen. Wofür, das wollte er ihr zunächst nicht verraten. Außerdem bat er darum, sich ein paar Kopien aus dem Skizzenbuch machen zu dürfen.

Zwei Wochen später lud er sie erneut zu einem Dinner ein – um ihr zu verraten, wofür er die Kopien hatte haben wollen. Mrs. G hatte ihren Herzschlag kaum unter Kontrolle, während sie den seitlichen Reißverschluss des dunkelblauen Kleids hochzog, das sie sich extra gekauft hatte. Es umspielte gewagt eng ihre schlanke Figur. Der V-Ausschnitt ließ gerade so viel Einblick gewähren, dass er einen interessierten Blick anlockte, aber nicht zu lange haften ließ. Ihre Haare, die sie sich vor kurzem hatte kastanienrot färben lassen, föhnte sie ordentlich glatt und ließ sie schließlich sanft über ihre Schultern fallen.

Mrs. G wagte nicht darüber nachzudenken, wohin dieser Abend führen könnte. Zu aufregend waren die Optionen.

Umso mehr erschienen ihre die kommenden Stunden wie ein schmeichelnder Traum, der ihr Inneres zum Schweben brachte.

Ludwig führte sie erneut in ein sehr elegantes Restaurant aus. Galant übernahm er die Menü- und Weinauswahl. Nach der Vorspeise verriet er endlich sein kleines Geheimnis: er hatte einige potentielle Kunden gefunden – für ihre Kleiderentwürfe. Mrs. Grudge traute ihren Ohren nicht und versuchte, ihre rasenden Gedanken mit dem weichen Zipfel der Serviette unter Kontrolle zu halten. Deshalb also auch seine Bitte, einige Entwürfe in die Tat umzusetzen.

Mrs. G fühlte einen Schrei in sich aufsteigen, der so gerne hinaus wollte. Doch das ließ sie hier in dieser Räumlichkeit nicht zu. Stattdessen erlaubte sie Ludwig, ihre Hand zu nehmen und fest zu drücken. Sein Blick drang dabei ganz tief in sie ein, brachte unerwartetes Licht in ihr Dunkel.

Nach dem Hauptgang fragte Ludwig, was ihre Seele so bedrückte. Er spüre stets einen dunklen Schatten, der ihr hübsches Gesicht verfolgte. Mrs. G verhinderte gerade noch so, dass ihre feuchten Augen eine Träne verloren. Ludwig verband eine unerwartete Mischung an Reifheit, Kreativität, Feingefühl – und Tiefenblick. Mrs. G erkannte, dass sie noch nie solch einem Mann zuvor begegnet war. Seiner Frage wich sie aus. Stattdessen antwortete sie, dass es ihm gelungen war, mit seiner wundervollen Unterstützung einen Teil dieses Schattens zu verjagen. Das bedeute ihr unglaublich viel. Sie drückte dankbar seine Hand zurück.

Das Eis war endgültig gebrochen, das spürten wohl beide in diesem Moment. Wie ein Blitz schoss es durch ihre Hände, die sich nicht mehr loslassen wollten. Mit tiefen Blicken vollendeten sie ihr Essen und gönnten sich einen Abschlusstrunk, dessen Röte der von Mrs. Gs Wangen erstaunlich ähnelte. Seine Augen verfolgten jede Bewegung ihrer schlanken Finger, die sich immer wieder in ihrem Haar verfingen. Als er ihr die Hand zum Aufstehen anbot, fühlte sie sich so leicht wie eine Feder.

Eigentlich hatte Mrs. G seit Beginn des Abend gewusst, wohin dieses Treffen führen würde. Jede Faser ihres Körpers hatte es ihr im Vornherein zugeflüstert. Ludwig fragte sie, ob sie noch Lust auf einen Abendtrunk in seiner Küche hatte. Diese entpuppte sich als gemütliche Wohn-Essküche mit einer langen Bar, die den Wohnbereich abtrennte. Ludwig zauberte ihr einen grandiosen Martini, natürlich mit Olive. Dazu ließ er sanfte klassische Musik ertönen.

Bevor sie ihr Glas geleert hatte, nahm er erneut ihre Hand. Sah ihr tief in die Augen. Sagte: „Ich werde dich und deine großartigen Kreationen unterstützen, wo ich kann. Frag mich nicht, wieso. Sie üben einen magischen Zauber auf mich aus. Genau wie du.“

Was für eine perfekte Überleitung zu einem perfekten ersten Kuss.

 

Nicole war sich nicht sicher, ob das Kribbeln in ihren Adern vom Sinkflug kam oder vom Kuss… ihre Gedanken flogen gerade nicht nach unten, sondern mit hoher Geschwindigkeit weiter. Sie musste unbedingt herausfinden, in welchem Schicksalsschlag Mrs. Grudges Geschichte endete, bevor der Flieger die Parkposition erreicht hatte…

 

Fortsetzung folgt…

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IX

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil V

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VI

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VII

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VIII

 

 

Das rote Kleid schien Mrs. Grudge magisch zu verfolgen. Nicole fragte sich mehr und mehr, an welchem Punkt in Mrs. Grudges Leben dieser Zauber plötzlich erlosch…

 

Ludwig stand sprachlos in ihrem Wohnzimmer und stierte mit großen Augen das rote Kleid an, das perfekt hergerichtet auf der Puppe hing. Schließlich näherte er sich langsam dem Kunstwerk, berührte mit anerkennender Bedächtigkeit den zarten Stoff, strich mit den Fingern über die weiße Blume, umrundete schließlich einmal Mrs. Gs erste Kreation.

Dann blickte er sie an. „Ich bin hoffnungslos begeistert“, sagte er. „Ich liebe, liebe, liebe dieses Kleid!“

Mrs. G spürte, dass erneut eine Röte ihre Wangen überzog. Verlegen faltete sie die Hände vor ihrem Körper zusammen. Als sie vor mittlerweile drei Jahren dieses Kleid entwarf und gemeinsam mit ihrer Mutter nähte, hätte sie nie gedacht, dass es sie eines Tages in solch eine Situation führen würde.

Ludwig führte sie in ein elegantes Restaurant mit modern französischem Touch aus. Mrs. G fühlte sich in ihrem kleinen Schwarzen, das seit ihrem ersten Rendevouz mit Gregor unbeachtet im Schrank gehangen hatte, äußerst wohl. Ludwig war ein eleganter und sprachgewandter Mann, der es verstand, keine unangenehmen Momente des Schweigens aufkommen zu lassen. Mrs. G hätte seinen Erlebnissen aus der Modebranche noch stundenlang zuhören können, doch der Abend flog nur so dahin. Zum Schluss kam er auf seine Modenshow im kommenden Frühjahr zu sprechen. Eigentlich hatte er schon erste Entwürfe von seinen besten Schülern und Schülerinnen heraus gesucht, doch der Anblick des roten Kleides, so sagte er, würde ihn nun noch mal das Konzept überarbeiten lassen müssen. Dieses rote Kleid sollte auf jeden Fall ein Teil der Show werden. Mrs. Grudge war sich noch sicherer, in einem großartigen Traum zu schweben.

Als Ludwig sie viel für ihren Geschmack wieder vor ihrer Haustür absetzte, nahm er ihre Hand und hauchte einen Kuss darauf. Mrs. G hörte das Rauschen ihres Herzschlags, der sich mit dem leichten Schneefall zu einem Moment des Stillstands vermischte. Sie hatte das Gefühl, ganz kurz in einer anderen Welt zu schweben.

Er dankte ihr für den wundervollen Abend. „Und ich freue mich schon sehr auf unsere nächste gemeinsame Unterrichtsstunde.“

Mrs. G brachte gerade so die zwei Wörtchen „Ich auch.“ heraus.

Bevor er wieder in sein Auto stieg, blickte er im Licht der Laterne noch einmal zu ihr auf und schenkte ihr ein Winterlächeln, das sie bis in ihre Träume begleitete. Diese Nacht schlief sie so friedlich ein wie seit vielen Monaten nicht mehr.

Das Telefon holte Mrs. G am nächsten  Morgen wieder zurück in ihr normales Leben. „Wann kommst du denn eigentlich mal wieder vorbei, um deine kleine Nichte zu sehen?“, kratzte Maries Stimme durch den Hörer. Mrs. G schloss die Augen. Seit der Geburt war sie nur einmal vorbei gekommen – zu Maries Geburtstag. Die kleine Amelie war drei Monate alt gewesen. Nun war Weihnachten vorbei, das neue Jahr hatte begonnen und ihre Nichte krabbelte mit ihren sieben Monaten bereits munter herum.

„Wenn ich meine große Hausarbeit abgeschlossen habe“, antwortete Mrs. G und meinte den Aufsatz über die Geschichte der Farbe Blau in der Mode, den sie bis zum Ende des Monats abgeben musste.

„Wenn du dich weiter so ausgrenzt, wird Amelie bald nicht mehr wissen, dass sie eine Tante hat!“ Mrs. G spürte die Leere in ihrem eigenen Bauch, die nie ganz verschwinden wollte. Trotzdem versprach sie, bald vorbei zu schauen. Dann wanderten ihre Gedanken zurück zum gestrigen Abend. Der Leere wich ein neues Kribbeln.

 

Der Pilot durchbrach Nicoles Gedanken, als er den Passagieren durchgab, dass sie nun die Reiseflughöhe verlassen hätten. Mrs. G hingegen, so vermutete Nikki, wurde vom gnädigen Schicksal allmählich auf unerwartete Höhen des Glücks gehoben.

 

Fortsetzung folgt…

Mrs. Grudge und das rote Kleid Teil VIII

So, wir sollten uns allmählich mal dem Ende nähern – ich gebe mein Bestes, versprochen 😉 Das hier bringt uns einen guten Schritt weiter:

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil V

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VI

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VII

 

Die kommenden Monate mussten unglaublich hart für Mrs. Grudge gewesen sein, da war sich Nicole sicher. Doch sollte es nicht vielleicht wieder einen Lichtblick am Horizont geben? Ihre Modekreationen liefen doch sicher weiter gut! Irgendeinen Strohhalm braucht jeder Mensch, um jeden Morgen aufstehen zu können.

„Ich bin einfach nur begeistert!“ Ludwig Erhardt wedelte begeistert mit ihrer Mappe vor seinem Gesicht herum und eilte in den Stoffraum hinein. Mrs. G suchte gerade nach einem hellen Samt, mit dem sie die Ränder ihrer neuen Pulloverkreation säumen konnte. Überrascht wirbelte sie herum und blickte ihrem Dozenten in dessen leuchtenden Augen.

„Du solltest ALLE Entwürfe davon umsetzen! Ich will sie alle in den Händen halten!“ Er kam ihr immer näher.

Ludwig Erhardt war langjähriger Dozent und Designer an der Modeschule. Seit dem Herbst saß Mrs. G in seinem Unterricht für besondere Nähtechniken und dem Verarbeiten sensibler Stoffe. Seine wohlige Stimme verbreitete stets eine angenehme Ruhe in Mrs. Gs Herzen, während sie seinen Vorführungen lauschte. Obwohl er allmählich auf die 40 Jahre zuging, wie sie von Schülerinnen aus dem Jahrgang über ihr erfahren hatte, strahlte er mit seinem vollen schwarzen Haar und der makellosen Haut eine große Portion Jugend aus. Gleichzeitig ließ sein voller Bart ihn äußerst reif wirken. Mrs. G fand Männer mit Bart sonst eigentlich grundsätzlich unattraktiv, aber Ludwig…

Sein Unterrichtsstil war frisch und lebendig. Ihm lag viel daran, dass seine Schüler das eben Gelehrte sofort selber ausprobierten. Mrs. G legte offenbar ein äußerst feines Geschick an den Tag, was den Umgang mit den edlen Stoffen betraf, sodass Ludwig sehr oft ihre Ergebnisse als gekonntes Beispiel hervorhob. Außerdem hatte sich die Gewohnheit eingeschlichen, dass er ihrem Talent zur heimlichen Perfektion verhalf, indem er ab und an ihre Hände mitführte, während sie den Stoff unter der Nadel der Nähmaschine gleiten ließ. Mrs. G fühlte sich zutiefst geehrt. Die Blicke der Mitschülerinnen interessierten sie dabei herzlich wenig.

Nun stand er mit ihrer Mappe vor ihr, die sie aus Versehen im Unterrichtsraum liegen gelassen hatte, weil ihre Gedanken schon zu sehr um den Samtstoff gekreist waren. Die Mappe, die sie seit ihrem ersten Tag an dieser Schule begleitete. Ludwig hatte es gewagt, einfach hinein zu sehen. Und sie dankte ihm innerlich dafür. Eigentlich hatte sie ihm die Entwürfe schon längst einmal zeigen wollen, sich jedoch bisher noch nicht getraut. Ludwig musste dies gespürt haben.

So wie er auch stets das Zittern in ihren Händen spürte, wenn er sie wieder einmal an der Nähmaschine führte…

Mrs. G bemerkte, dass ihre Wangen ein zartes Rosa annahmen und schlug verlegen die Augen nieder.

„Das ist mein voller Ernst, Liebes“, bekräftigte Ludwig seinen Wunsch. „Ich sollte fast sauer auf dich sein, weil du mir diese Entwürfe bisher vorenthalten hast!“ Er zwinkerte ihr zu.

„Ein Kleid davon gibt es wirklich schon“, antwortete Mrs. Grudge und zeigte dabei auf die Mappe. Das Feuer in seinen Augen flammte noch mehr auf.

„Wirklich?! Wo?“

„Bei mir zu Hause.“

Ludwigs Arme sanken langsam nach unten und sein Blick fokussierte den ihren.

„Was hältst du davon, wenn ich dich Freitag Abend zum Essen ausführe und wir reden dabei über meine geplante Modenshow kommenden Frühjahr.“

Mrs. Grudge bekam große Augen.

„Ich hole dich ab und du kannst mir dein Kleid zeigen.“

Die Luft zum Antworten blieb ihr weg, sodass sie zunächst nur nickte.

„Welche Uhrzeit wäre dir denn recht?“ Seine Stimme war leiser geworden. So wohlig.

Sie knetete unbewusst an einem Stück Stoff herum, das aus dem Regal hing. „18:30Uhr wäre perfekt.“

„Wunderbar!“ Er strahlte sie mit seinen brennend grünen Augen an.

Nicole fühlte sich leichter, obwohl sie soeben die Reiseflughöhe verlassen hatten. Es war Zeit für eine letzte Getränkerunde in der Business Class. Dabei fiel Nicole auf, dass sie bisher noch gar nicht darauf geachtet hatte, was Mrs. Grudge da eigentlich für ein Buch las.

Es schien ein historischer Roman zu sein, vom Cover her zu urteilen. Nicole spürte eine leichte Enttäiuschung durch ihre Adern fließen. Was genau hatte sie denn erwartet? Einen Mode-Bildband? Sie wusste es nicht. Da fiel ihr auf, dass die Frau auf dem Coverbild ein Kleid trug – ein rotes Kleid.

 

Fortsetzung folgt… (dieses Mal in kürzeren Abständen als die letzten Male, versprochen!)

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VII

Weiter geht’s!

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil V

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VI

 

Nicoles Gedanken kreisten um die eine Frage, während sie die Essensreste entsorgte: was geschah mit dem Kind, dass Mrs. G unter ihrem Herzen trug?

 

Zwei Wochen, nachdem Gregor ausgezogen war, bekam Marie ihr Kind. Es war ein Mädchen. Mrs. G hatte sich immer ein Mädchen gewünscht. Das Telefon klingelte abends halb 8, als sie gerade die Küche auf Hochglanz polierte. Sie würde in ein paar Tagen umziehen und wollte alles in bestem Zustand hinterlassen. Ihre Mutter übermittelte neben all der überschwänglichen Begeisterung auch einige Informationsfetzen durch den Hörer herüber: um 17:36Uhr kam Amelie nach neun Stunden Wehen auf die Welt. Sie war zierlich und hatte einen dunklen Haarflaum und wäre ganz, ganz unglaublich süß. Ihre Mutter war direkt nach dem Anruf ins Krankenhaus gefahren. Wann Mrs. G denn wohl vorbei schauen wolle?

Mrs. G sortierte zunächst die Menge an Informationen in ihrem Kopf. Dann antwortete sie: „Morgen.“

Die Nacht verbrachte sie mit vielen wachen Stunden. Mrs. G fielen Tausend andere Dinge ein, die sie lieber täte als ins Krankenhaus zu fahren. Am Morgen wusste sie: es nicht zu tun, kam für eine große Schwester nicht in Frage. Also zog sie sich ein lockeres Sommerkleid mit roten Blumen an, föhnte ihre langen Haare zurecht, legte ein leichtes Rouge auf und machte sich mit Bus und Bahn auf den Weg zum Krankenhaus. Die Fahrt dauerte lange anderthalb Stunden, die Mrs. G damit verbrachte, den aufblühenden Sommer durch die Fensterscheiben zu betrachten.

Als sie schließlich die Türen des Krankenhauses erreicht hatte, blieb sie kurz stehen, atmete tief durch und zog die Schultern zurück, bevor sie eintrat und nach dem Zimmer ihrer Schwester fragte. Auf dem Weg hatte sie noch einen Strauß Blumen gekauft.

Ihre Hand zögerte einen Augenblick, bevor sie an die Zimmertür klopfte.

„Herein!“, erklang Maries gedämpfte Stimme. Mrs. Gs Körper folgte der Aufforderung.

Da lag sie, in dem weißen Bett, mit einem Baby im Arm. Eingewickelt in eine rosa farbene Decke. Die Zimmergenossin bemerkte Mrs. G gar nicht, als sie langsam Richtung Fenster ging.

„Hallo Schwesterherz! Oh, vielen Dank für die Blumen! Da steht noch eine freie Vase auf dem Tisch!“ Mrs. G gehorchte.

Dann begann die Zeremonie. Sie umarmte Marie, beglückwünschte sie zu ihrer Tochter und fragte, ob alles gut verlaufen sei. Aus Maries Mund sprudelten Worte der frisch erlebten Erfahrung der Geburt, untermalt mit bildhaften Beschreibungen. Dann näherten sie sich dem Höhepunkt. Mrs. G hielt ihrer Schwester die kleine Tüte hin, die sie ebenfalls mitgebracht hatte. Mit weit aufgerissenen Augen holte Marie einen kleinen Teddybären hervor. Mrs. G hatte ein Kleidchen für ihn genäht. Zartrosa, mit weißen Punkten. Auf dem Kopf trug der Teddy eine weiße Schleife. Marie brach in Tränen aus.

Schließlich kam DIE Frage: „Möchtest du sie einmal halten? Du musst keine Angst haben!“ Darauf hatte sich Mrs. G anderthalb Stunden vorbereiten können, weshalb sie nur einen kurzen Augenblick zögerte, bevor sie ihre Arme ausstreckte.

So winzig. So weich. So zerknittert. So rosig. So friedlich.

Ein Moment der Ewigkeit verging, als Mrs. G sich in dem Anblick dieses Wunders verlor.

Amelie bewegte sich und Mrs. G zuckte zusammen. Zeit, das Wunder wieder ihrer Besitzerin zurückzugeben.

Drei Stunden später öffnete Mrs. Grudge wieder ihre Wohnungstür. Sie legte ihre Tasche ab, zog die Schuhe aus und begab sich ins Nähzimmer. Dort nahm sie das zerknüllte Kleid, das noch immer auf dem Boden lag und bügelte jede einzelne Falte wieder heraus. Nur ein Blütenblatt war nicht mehr zu retten. Dann rief sie im Krankenhaus an.

Eine Woche später war sie wieder alleine mit ihrem Körper.

 

Nicole war froh, dass die Speisenrunde abgeschlossen war. Ihr selber war gar nicht mehr nach ihrem Sandwich zumute, auf das sie sich so gefreut hatte. Tomate-Mozarella funktionierte eigentlich immer. Die zweite Getränkerunde würde gleich folgen, aber sie brauchte einen kleinen Augenblick Ruhe, um sich auf die erneute Begegnung mit Mrs. G vorzubereiten.

Fortsetzung folgt…

 

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil VI

Oh je, dass die Geschichte doch so lang wird, hatte ich nicht erwartet. Hoffentlich komme ich noch zum Ende, bevor der Flieger gelandet ist 🙂

 

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil V

 

Mrs. G beschloss, den Test zunächst für sich zu behalten und stattdessen den ersten Arztbesuch abzuwarten. Sie wollte erst einmal Klarheit haben, woran sie wirklich war. Ihre aktuell wacklige Beziehungssituation aufgrund von zwei rosa Streifen in Gefahr zu bringen, das war ihr zu heikel.

Die vier Tage bis zum Termin waren die längsten ihres Lebens. Am dritten Abend ging Gregor wortlos aus und kam erst spät in der Nacht wieder. Ihre Gereiztheit sei nicht mehr zu ertragen.

Die Glückwünsche vom Arzt am nächsten Morgen schmiss Mrs. G gleich in die nächste Tonne. Das erste Ultraschallbild jedoch behielt sie zitternd in den Händen. Als Gregor am Abend nach Hause kam, zitterten sie immer noch.

„Wir müssen reden“, sagte Gregor mit ernster Stimme. Ihre Augenbrauen schnellten nach oben.

Zwei Stunden später fiel die Wohnungstür erneut ins Schloss. Die Tritte auf den Treppenstufen verklungen nach einigen Augenblicken. Das laute Pochen von ihrem Pulsschlag in ihren Ohren hielt an.

Er hatte beschlossen zu gehen. Es funktionierte nicht mehr. Ihre Lebensziele waren zu sehr auseinander gedriftet. Auf Arbeit gab es da eine Frau, die würde wahrscheinlich besser zu ihm passen. Er wünschte ihr nur das Beste für ihre Karriere.

Das Ultraschallbild lag noch immer in ihrem Skizzenbuch. Er hatte es nicht zu sehen bekommen.

Mrs. G stand auf, bewegte ihren Körper langsam in ihr Nähzimmer und blieb vor der Puppe mit dem roten Kleid stehen. Eine Weile starrte sie es an. Dann zerrte sie es ruckartig herunter, sodass die Knöpfe am Verschluss abrissen und sich in den Zimmerecken verteilten. Sie schmiss das Kleid auf den Boden, trat mit den Füßen immer und immer wieder danach, nahm es in die Hände und knüllte es zusammen, warf es erneut auf den Boden und schmiss sich schließlich drauf. Ihre Tränen tränkten den zerknitterten Stoff und verliehen dem Kleid einen zweiten Rotton.

 

Nicole musste sich kurz setzen, als sie mit dem Speisewagen wieder vorne ankam. Ihre Kollegin warf ihr einen eigenartigen Blick zu.

„Alles in Ordnung, Nikki?“

Nicole winkte ab. Am liebsten hätte sie ein Fenster geöffnet, um etwas frische Luft zu bekommen. Ein Schluck eiskaltes Wasser musste ausreichen.

 

Fortsetzung folgt…

 

Mrs. Grudge und ihr rotes Kleid – Teil V

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

 

Nicole war überzeugt davon, dass etwas Dramatisches geschehen sein musste.

 

Mit zitternder Hand hielt Mrs. G den kleinen, aber vielsagenden Papierstreifen in der Hand. Ihr Herz wusste nicht, ob es sich freuen sollte oder nicht. Eigentlich schon, oder? Aber es kam so unerwartet! Wie hatte das geschehen können? Passte es jetzt überhaupt hinein? Und überhaupt – was würde Gregor dazu sagen?

Ja, das war wohl die Frage, dessen Antwort Mrs. G am meisten fürchtete.

Es lief nicht gut in letzter Zeit. Zu sehr nahmen ihre Arbeiten sie beide ein, was für eine gereizte Grundstimmung daheim sorgte. Schnell stritten sie sich über Kleinigkeiten, geplagt von Müdigkeit und zu wenig Freizeit. Nachts überkam sie beide jedoch oft das Bedürfnis, dem jeweils anderen Wiedergutmachung zu schenken. Währenddessen wuchs Maries Bauch immer weiter – das ständige Strahlen in den Augen ihrer Schwester konnte Mrs. G schon eine Weile nicht mehr ertragen.

Mrs. Gs Augen wanderten wieder auf das kleine Papierchen in ihren Händen, auf die zwei deutlich sichtbaren rosa Streifen. Es war Samstag Morgen um 7 und sie stand alleine im Bad. Gregor schlief noch. Sie versuchte, ihre Gedanken zu sortieren. Zu analysieren, wie das hatte geschehen können.

Da fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. Heute war schon Sonntag!

Fassungslos stierte sie auf ihre Pillenreihe im Regal.

Die vergangenen Wochen hatten sie keinen regulären Unterricht mehr gehabt, denn schon bald stand die große Jahresabschluss Show an. Den Schülern wurde die Zeit zur freien Verfügung gestellt, um ihre Entwürfe fertig zu bekommen. Mrs. G hatte zwischen all dem Garn und den Stoffreihen völlig das Gefühl verloren, welcher Wochentag gerade war. Dass Gregor auch ab und an an Samstagen arbeiten musste, war dabei nicht hilfreich.

Völlig unerwartet hatte sich ihr inniger Wunsch durch völlig verdrehte Ereignisse zu einem völlig unpassenden Augenblick erfüllt. Ohne die ersehnte Glückseligkeit, die das Herz erwärmte. Ohne Freudentränen. Ohne Vorfreude auf das, was kommen mochte. Nur Leere. Mrs. G wusste nicht, was sie fühlen sollte.

 

Nicoles Hände zitterten, als sie Mrs. G das Tablett mit dem Essen reichte. Ein dicker Kloß hatte sich in ihrem Hals gebildet, der schmerzvoll drückte, als sie der alten Dame in die stummen Augen blickte.

 

Fortsetzung folgt…

 

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil IV

Was bisher geschah:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

 

Was geschah wohl als nächstes?, fragte sich Nicole. Bisher lief bei Mrs. G alles so bilderbuchmäßig, das konnte njcht ewig zu weitergehen…

 

Bei ihrer ersten Modeschau, auf der ihre besten Stücke präsentiert wurden, saß Gregor in der ersten Reihe. Ihre Schwester war nicht mit dabei. Sie sei verhindert, sagte sie. Am Wochenende darauf – der erste Advent stand vor der Tür – offenbarte sich Mrs. G der wahre Grund: Marie präsentierte ihr ein Ultraschallbild. Sie würde ihr erstes Kind bekommen. Nach der Verkündung verschwand Marie auf dem Klo.

Das Bild versetzte Mrs. G in unerwartete Schockstarre. Marie hatte soeben erst die Schule beendet – und erwartete ihr erstes Kind! Mrs. G war immer davon ausgegangen, dass die Bekanntgabe des ersten Enkelkindes ihr als ältere Schwester zustand. Doch nun kreisten die Eltern nur noch um klein Marie herum, der die Übelkeit deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

Mrs. G wurde Tante – doch verspürte keine große Freude darüber. Stattdessen fühlte sie sich plötzlich alt. Am Abend stand sie in ihrem Nähzimmer und stierte auf das rote Kleid, das nun von einer menschengroßen Holzpuppe getragen wurde. Wenn ihr erstes Kind ein Mädchen werden würde, dann würde sie ihrer Tochter dieses Kleid nähen.

Doch wann würde sie schwanger werden? Im Gegensatz zu ihrer naiven Schwester wollte Mrs. G zunächst ihre Ausbildung beenden und auch Gregor würde ganz sicher nicht vor seiner Examensprüfung die ersten Windeln wechseln wollen. Und eigentlich wartete vorher auch noch der Verlobungsring!

Das waren für den Moment zu viele unklare Gedanken, befand Mrs. G und beließ es erst einmal dabei, dass nun doch zuerst Maries Bauch zuerst wachsen würde. Zart strich sie über den noch immer leuchtenden Stoff ihres roten Kleides. Sie war dennoch glücklich – und überzeugt davon, dass ihr Lebensweg deutlich mehr Zufriedenheit brachte als der unüberlegte ihrer kleinen Schwester. Sie und Gregor würden sich zuerst etwas Vernünftiges aufbauen! Dann konnte man das Kinderkriegen auch viel mehr genießen! Marie würde ja nicht mal wirklich in der Lage sein, ihrem Kind ein ordentliches Kuscheltier zu kaufen.

Und das Bäuchlein wuchs. Und Mrs. Gudges Mappe erfolgreicher Entwürfe wuchs ebenfalls. Mittlerweile saß sie abends oft länger an der Nähmaschine als Gregor in der Bank. Er war genervt. „Muss ich mich jetzt als Wollknäuel verkleiden, damit du mich wieder mehr beachtest?“, fragte er gekränkt.

„Nach Abschluss diesen Semesters wird es ruhiger, versprochen“, entgegnete sie und spürte seinen scharfen Blick im Rücken. Ihre Entwürfe wurden um die Taille herum immer schlanker.

 

Nicole atmete tief durch, während sie die warmen Tabletts voller exquisitem Business Class Essen in den Wagen schob. Sie konnte Mrs. G da sehr gut verstehen – erst einmal eine finanzielle Grundlage zu schaffen, war definitiv eine vernünftige Basis für ein Kind! Doch sie hatte den Eindruck, dass Mrs. G dabei war, ihre Gedanken und ihre Gefühle von etwas abzulenken, das sie nicht in ihr Herz lassen wollte – aus Angst, dass es zu sehr schmerzte. Leider schloss sie dadurch auch andere mehr und mehr aus, ohne dass sie es bewusst wahrnahm.

Aus der Economy Class erklang ein meckerndes Kind – das Mädchen beschwerte sich lauthals, dass ihr langweilig war. Ihre Mutter flüsterte ihr daraufhin sicherlich zu, dass es gleich etwas Kleines zu essen gäbe, um ihre Tochter zu besänftigen. Nicoles Blick huschte zu Mrs. G. Deren Blick war voller Konzentration auf die Wörter in ihrem Buch gerichtet, doch auf der Stirn war ein leichtes Runzeln zu erkennen. Dann atmete sie einmal tief durch – das erste klare Lebenszeichen der alten Dame, das Nicole seit dem Abheben wahrnehmen konnte.

Offensichtlich lenkte die Mädchenstimme Mrs. G von ihrem Buch ab. Was ihr wohl durch den Kopf gingen? Welche Erinnerungen dadurch womöglich hervor kamen? Nicole begann das Essen zu verteilen.

 

Fortsetzung folgt…

 

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil III

Hier gibt es Teil I und II zum Nachlesen:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

 

Nicole war sich sicher, dass die junge Mrs. Grudge viel Zeit in die Vorbereitungen des Abschlussballs investiert hatte. Mit Hilfe ihrer Mutter, selber eine begnadete Schneiderin, nähte sie sich ihr eigenes und ganz indiviudelles Kleid. Mit diesem roten Kunstwerk aus Seide und Tüll, das sich eng an ihren schlanken Oberkörper schmiegte und nach unten hin weit ausfiel, zusätzlich geschmückt mit einem dicken weißen Hüftband und einer weißen Stoffblume, die gemeinsam ihre Weiblichkeit betonten, würde sie ganz sicher aus der Menge stechen.Watch Full Movie Online Streaming Online and Download

So war es dann auch. Gregor war vor Staunen zunächst einen Schritt zurück getreten, als sie ihm die Tür öffnete. Olaf warf sowohl Gregor als auch ihr den gesamten Abend giftige Blicke zu und verweigerte ihr jeglichen Tanz. Gregor hingegen war fast geplatzt vor Stolz, solch eine hübsche Lady seinen Eltern vorstellen zu dürfen. Die Blicke aller anderen Mädchen und auch Eltern waren von Neid getränkt – erst recht, als Mrs. G auch noch als eine der Jahrgangsbesten ausgezeichnet wurde.

Marie machte all der Trubel um ihre große Schwester an diesem Abend hingegen nicht viel aus. Obwohl Mrs. G ihr immer wieder mit ihrem wundervollen Kleid vor den Augen herum wedelte, lehnte sie sich entspannt in die liebevollen Arme ihres neuen Freundes, den sie an diesem Abend zum ersten Mal offiziell ausführen durfte – ganz unter der Aufsicht beider Eltern. Mrs. G interessierte sich nur sehr wenig für das neue Liebesglück ihrer Schwester – dies hier war IHR Abend und IHR Schritt in eine großartige Zukunft. Gemeinsam mit Gregor.

Das rote Kleid hatte ihn ganz offensichtlich voll und ganz in Bann geschlagen. Auf dem Heimweg schenkte er Mrs. G ihren ersten Kuss und hielt sie noch lange fest umamt, sodass Mrs. G sich um ihre weiße Stoffblume zu sorgen begann.

Ihre gemeinsame Zukunft sah fantastisch aus. Sie bewarb sich an einigen Modeschulen in Berlin, wo auch er in einer angesehenen Bank seine Ausbildung begann. Der Entwurf ihres roten Kleides schien Mrs. G alle Türen zu öffnen – sie konnte aus vielen Zusagen wählen, wo sie ihre Karriere beginnen wollte. Ihre Eltern bestanden darauf, dass sie nach wie vor zu Hause wohnte und jeden Tag 1,5h Zugfahrt auf sich nahm. Doch Gregor fand schon bald eine schicke 3-Zimmer-Wohnung mit schönen hohen Fenstern, für die Mrs. G sogleich ein paar helle Gardinen zurecht nähte. Auch die Inneneinrichtung orientierte sich am Ende sehr nach ihrem Geschmack.

Schließlich erlaubten ihre Eltern auch, dass sie zwei Mal in der Woche dort schlafen durfte. Nun war es nicht so, dass sie damit zum ersten Mal das Bett mit einem Jungen teilte. Ihre Eltern waren glücklicherweise aufgekklärt genug, um ihr da als Jugendliche nicht zu große Fesseln anzulegen.Doch so viele Kilometer von zu Hause entfernt – da hatte Gregor erst einmal mit regelmäßigen Kaffeebesuchen und aufmerksamen Pralinengesten und netten Herbstspaziergängen beweisen müssen, dass er es auch wirklich ernst meinte.

Mrs. G war in ihrer Zukunft angekommen. Alles lief perfekt. Gregor ließ ihr ihre kreativen Freiräume, das Gästezimmer gestaltete sich wie von alleine zu einem Näh- und Modezimmer. Er mochte es, wenn sie ihm ihre neuen Kreationen vorführte und offensichtlich hatte er guten Geschmack. Seine Favoriten gefielen auch stets den Lehrern. Nur dass er oft erst sehr spät am Abend nach Hause kam, weil ihn seine neue Arbeit so einnahm, missfiel ihr auf Dauer ein wenig. Mrs. G traf sich nur noch selten mit ihren Freundinnen – sie wohnten nun zu weit weg. Zu manchen fand sie auch schlichtweg nicht mehr den Draht wie zu Schulzeiten – zu sehr trifteten ihre persönlichen Leben auseinander. Mrs. G lenkte sich abends oft mit dem Entwerfen neuer Skizzen ab.

 

Nicole schob den Getränkewagen in den schmalen Gang und begann mit einstudiertem Lächeln den Getränkewunsch der Passagiere zu erfragen. Auf dem Flug nach München war die Business Class immer gut gefüllt, sodass ihrem Herzen ausreichend Zeit blieb, in einen sehr nervösen Rythmus zu verfallen, je mehr sich Nicole der Dame in der letzten Reihe näherte. Mrs. G hielt sich krampfhaft an ihrem Buch fest, sodass die Knöchel schon weiß heraus stachen. Erst als der Getränkewagen direkt neben ihr zum Stehen kam, senkte sie langsam ihre Arme, die in dem langen Ärmeln der schwarzen Bluse äußerst dünn wirkten.

Nicole holte Luft. „Was darf ich Ihnen zu trinken anbieten, Mrs. -… gerne darf es eim Glas Sekt sein, wenn Sie mögen“, rettete sie sich im letzten Moment.

„Eine Weißweinschorle genügt, vielen Dank“. Ihre Stimme klang erstaunlich weich. Klar. Ohne ein Kratzen des Alters. Nicole benötigte zwei Sekunden länger als üblich, um der Passagierin ihren Wunsch zu erfüllen. Als sie ihre Hände erneut an den Getränkewagen legte, fühlte sie, wie feucht ihre Innenflächen waren.

 

Fortsetzung folgt…

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil II

Teil I ist hier zu lesen:

Mrs. Grudge und das rote Kleid – Teil I

 

Nicoles Gedanken formten sich…

Mrs. Grudge musste eins ein bildhübsches Mädchen gewesen sein. Dunkles, langes Haar, gepaart mit den dunklen Augen und einer hohen Stirn, ergänzt durch einen schlanken und hochgewachsenen Körper. Ihre Ausstrahlung war sicher keinem der Jungen an der Schule entgangen. Hinzu kam, dass Mrs. Grudge durchaus intelligent war – eine gelungene Mischung, die ihr auch den nötigen Respekt bei den Lehrern sicherte. Ihr selbstbewusstes Auftreten und ihre Beliebtheit unter den Jungen ließ die Anzahl an Mädchen, die gerne ihre Freundin sein wollten, nie abebben. Mrs. G genoss die permanente Aufmerksamkeit.

Nicole überlegte weiter. Bestimmt hatte Mrs. G eine jüngere Schwester – sie taufte sie Marie – die auf dieselbe Schule ging. Sie hatte ebenfalls die Intelligenz ihrer beider Eltern geerbt, jedoch einen Hauch weniger Schönheit abbekommen. Das glaubte Marie zumindest, wenn sie tagtäglich die Begeisterung um ihre große Schwester auf dem Schulhof und in den Klassenräumen mitverfolgen musste. Mrs. G war durchaus eine nette Schwester – gab gerne Frisurentipps oder lieh einige ihrer Kleider aus. Doch sie ließ auch immer durchblicken, dass sie durchaus der Meinung war, dass es das Schicksal besonders gut mit ihr gemeint hatte.

Mrs. G größtes Problem bestand darin, welchen ihrer Verehrer sie als Partner für den Abschlussball erwählen sollte: Gregor – der schlagfertige Typ, immer für einen Witz zu haben, trug sein schwarzes Haaar etwas länger, sodass es ihm frech in die Stirn fiel, seine Eltern waren durch Aktiengeschäfte durchaus erfolgreich, Gregor selber wollte nach der Schule eine Ausbildung bei der Bank beginnen.

Oder Olaf – der Kapitän der Fußballmanschaft, entsprechend athletischer Körper, sein blondes Haar trug er immer kurz, aber im Nacken ließ er stets eine kleine Locke, er würde mit seinem guten Schulabschluss ein Medizinstudium beginnen.

Mrs. G war hin- und hergerissen. Doch Gregor erwies sich schließlich als der romantischere und damit clevere von beiden, als er eines Morgens mit einem kleinen Strauß Rosen auf ihrem täglichen Schulweg auf sie wartete und höflich fragte, ob sie ihn auf den Abschlussball begleiten würde. Mrs. G war völlig verzückt und spürte einen Hauch von Röte auf ihren Wangen.

Ihre Gedanken wanderten schon weiter in die Zukunft. Eigentlich passte Gregor da auch viel besser hinein. Sie selber würde auf jeden Fall Modedesign studieren gehen, eigene Entwürfe kreieren und diese vielleicht sogar selber als Model auf den Laufstegen präsentieren. Ihre Mutter hatte ihr dieses Handwerk in die Wiege gelegt. Ihrem Vater erzählte sie nicht in dieser Einzelheit von ihren Plänen – es genügte, wenn er wusste, dass sie gerne Schneiderin werden wolle.

Ein studierter Arzt sähe es sicher lieber, wenn seine Frau daheim bliebe, um die wachsende Kinderschar zu hüten, während er selber an seinem perfekten Ruf als Heiler arbeiten konnte. Ein Bankangestellter präsentierte da eher den modernden Typ von Mann, dem es sicher weniger ausmachte, wenn seine Frau ebenfalls einen ordentlichen Beruf erlernte und ihren Traum auslebte.

Ja, Gregor war der Richtige.

 

Nicole unterbrach ihre Schwärmerei für Gregor. Das Boarding war abgeschlossen und ihr Einsatz zum Vorführen der Sicherheitsbestimmungen war gefragt. War es Schicksal, dass Nicole heute in der Business Class arbeiten durfte? Die Purserin sprach ihr Gebet durch die Lautsprecher, während Nicole gedankenverloren ihren Auftritt hinlegte. Sie bemerkte, dass Mrs. Grudge ihre Augen die gesamte Zeit geschlossen hielt und kein Muskel in ihrem Gesicht zuckte. Erst als ihre Vorführung beendet war, öffnete Mrs. G die Augen wieder, hob ihr Buch hoch und las weiter.

Wie arrogant, befand Nicole. Natürlich verfolgten nur noch die wenigsten Passagiere aufmerksam, was das Bordpersonal zu Beginn erzählte und zeigte – doch Mrs. G hatte offensichtlich gelernt, Ignoranz zur Perfektion zu treiben.Watch Full Movie Online Streaming Online and Download

Die letzten Startvorbereitungen waren in Gang und schließlich nahm auch das Bordpersonal seinen jeweiligen Platz an. Nicole legte sich den Gurt um und zog ihn fest. So ähnlich musste es sich auch für Mrs. Grudge anfühlen – dieser selbst auferlegte Hass gegenüber dem Rest der Gesellschaft, der ihr jegliches Licht zur Freude nahm und sie an ihre eigene Verbitterung fesselte, sie aus ihrem Loch nicht mehr aussteigen ließ.

 

Fortsetzung folgt…