Tatsächlich habe ich es geschafft – es ist Ende Juni und hier kommt nun endlich der Abschluss von meiner Mrs. Grudge-Geschichte! Danach werde ich mich mal kritisch selbst beurteilen. Als „Kurz“geschichte zählt das hier ja langsam nicht mehr…
Plot:
Als die Stewardess Nicole die ältere Dame in der Business Class erblickt, keimt in ihr unwillkürlich die Frage auf, welch ein Schicksalsschlag womöglich dazu geführt haben mochte, dass der elegante und stolze Glanz dieser Frau von so viel Verbitterung überschattet wird…
Mrs. Grudges Herz schlägt für die Mode. Ihr erster umgesetzter Entwurf, ein rotes Abendkleid, schenkt ihr auf dem Abschlussball die Liebe zu Gregor, mit dem sie schon bald zusammenzieht. Doch ihre beiden Leben wollen einfach nicht zusammenpassen. Als Mrs. Grudge feststellt, dass sie schwanger ist, verlässt Gregor sie, ohne zu ahnen, was er hinterlässt.
Mrs. Grudge entscheidet sich für ihre Stoffe und gegen das Kind. Als ihre Schwester ihr erstes Kind bekommt, spürt Mrs. Grudge nur die Leere in ihrem eigenen Herzen, die sie versucht, mit ihren Stoffen und Entwürfen zu füllen.
Unerwartet lernt sie Ludwig, einen der Lehrer, plötzlich näher kennen, als er ihre Kleiderskizzen entdeckt. Ihre Entwürfe und seine Begeisterung dafür bringen ihre Herzen schließlich zusammen. Mit Ludwigs Unterstützung rücken alle Träume, die Mrs. Grudge seit dem Schneidern des roten Kleides hatte, in greifbarer Nähe.
Doch dann stellt das Schicksal sie erneut vor eine dramatische Entscheidung…
Teil XIV
Nicoles Kollegin hieß die Passagiere am Ziel willkommen und bat sie, bis zum Erreichen der Parkposition sitzen zu bleiben. Nicoles Fantasie bremste noch nicht ab – um die Geschichte noch zu einem Ende zu bringen…
Das letzte Ausbilungsjahr hatte Mrs. Grudge ohne Ludwigs warme Stimme in ihrem Ohr verbracht. Ihr eigener Schutzwall, den sie unbewusst aufgebaut hatte, hielt alles fern, was die Dunkelheit in ihrem Innern hervor holen konnte. So hatte sie auch schnell das Bild wieder verdrängen können, das ihr in einer Mittagspause Ludwig und Melanie eng umschlungen hinter einer Zimmerztür zeigte.
Doch für eines würde sie Ludwig auf ewig dankbar sein: die vielen großen Türen, die er ihr geöffnet hatte. Am Ende ihrer Ausbildung hatte sie einen dicken Packen Visitenkarten und viele verlockende Jobangebote in der Tasche.
Ihre Schwester hatte mittlerweile ihr zweites Kind bekommen – Heinrich. Dieses Mal war es Mrs. Grudge leichter gefallen ins Krankenhaus zu kommen. Die Wunden im Herzen kannte sie bereits, mittlerweile hatten sich dicke Narben gebildet, die alles erträglicher machten. Am Tag der großen Modenschau hatte Mrs. Grudge beschlossen, von nun an eine bessere Tante zu sein. Ob sie ihrer Schwester jemals erzählen würde, was geschehen war, konnte sie nicht sagen. Sie wusste auch nicht, wieso sie es überhaupt verheimlichte. Doch so fühlte es sich besser an. Weniger Angriffsfläche für noch mehr Schmerzen. Und die Kraft, die sie aufwendete, um ihr stilles Geheimnis zu hüten, gab ihr das Gefühl, trotz allem zu leben. Sie war sich ihrer Selbst bewusster denn je. Es trieb sie jeden Tag aufs Neue an, etwas zu tun. Zu nähen, zu zeichnen, zu denken. Der Kopf durfte nie zur Ruhe kommen.
Der Flieger hatte die Landebahn verlassen und drehte nun langsam ein Richtung Parkposition…
Nachdem Mrs. Gruge fünf Jahre lang in einer größeren Boutique als Schneiderin gearbeitet hatte – die Inhaberin hatte sie auf der Modenschau kennen gelernt und die Chemie hatte auf Anhieb gepasst – hatte sie beschlossen, ihre eigene Boutique zu eröffnen. Dank ihrer vielen Bekanntschaften war es ein Leichtes, sich schnell einen eigenen Kundenstamm aufzubauen. Besonders viel innere Ruhe gab es ihr, wenn sie abends an ihren eigenen Kleiderkreationen arbeiten konnte. Über die letzten Jahre hatten sich viele Skizzen gesammelt. Ihre Einzelstücke lockten auch schnell neue Kundinnen in ihren Laden.
Im Schaufenster stand vom ersten Tag an eine Puppe, die ihr rotes Kleid trug. Es ließ immer wieder Passanten anhalten, um durch die Fensterscheibe hinein zu schauen. Ihre Kundinnen liebten die Geschichte, wie alles mit diesem roten Kleid begann. Mrs. Grudge hatte das Kleid am Tag ihrer Examensfeier eigentlich in Tausend Stücke zerschneiden wollen. Doch dieses Kleid war ihre Bestimmung. Es verfügte über ihr Schicksal, dem sie sich nicht beugen konnte.
Die Jahre vergingen und Mrs. Grudge lebte für ihre Boutique und ihre Mode. Marie bekam ihr drittes Kind – wieder ein Mädchen. Mittlerweile war sie in den Süden Deutschlands gezogen, ihr Mann hatte dort eine lukrative Stelle bekommen. Einmal im Jahr bekam Mrs. Grudge einen Familienkalender, der ihr die Entwicklung ihrer Nichten und ihres Neffen zeigte. Im Gegenzug erhielten die Kinder stets etwas Selbstgenähtes von ihr, wobei sie stets die Farbe Rot vermied. Über die Jahre rückte die Familie jedoch immer weiter aus ihrem Fokus. Weihnachten verbrachte Mrs. G meist auf Privatfeiern in ihren Modekreisen. Der Weg in den Süden erschien zu steil, um ihn öfter in Angriff zu nehmen. Mrs. Grudge hatte beschlossen, in ihrem Leben von nun an karge, aber einfache Wege zu nehmen.
Es war schon eigenartig, dass sie genau an dem Tag beim Putzen ihres Ladens das rote Kleid von der Puppe halb herunter gerissen hatte, weil sie mit dem Besenstiel in der Gürtelblume hängen geblieben war, an dem sie später vom Arzt die Nachricht bekam: „Sie haben Brustkrebs.“
Es wurde Zeit aufzuräumen, hatte Mrs. G in diesem Augenblick beschlossen. Es war Zeit für ein neues Schaufensterbild. Sie hatte das rote Kleid abgenommen, es mit all seiner Last in einen Kleidersack gepackt und einen Flug gebucht. In den Süden. Sie würde ihre Schwester den Sack öffnen lassen. Und ohne den Inhalt zurück fliegen.
Der Flieger kam zum Stehen und der Geräuschpegel stieg sogleich an, als die Passagiere aufsprangen, um ihre Jacke und ihre Tasche zu schnappen und dann die langen Minuten gequetscht im schmalen Gang zu stehen, bis sich schließlich endlich die Türen öffneten. Nicole erhob sich, um sich für das Verabschieden der Passagiere aus der Business Class aufzustellen. Hier herrschte ruhigeres Treiben. Nicole atmete tief durch und fragte sich, was heute mit ihrem Kopf los war. Was für eine Geschichte hatte sich da abgespielt! Sie schüttelte den Kopf.
Endlich wurde die Tür freigegeben und die Passagiere der Business Class begannen mit dem Ausstieg. Nicoles Blick haftete auf der alten Dame, die ihren Kleidersack in den Händen hielt und den beiden Herren vor ihr aus dem Flugzeug folgte.
Nicole blinzelte überrascht.
Schimmerte da nicht ein roter Stoff aus dem Kleidersack hervor?
— Ende —